Was für ein unglaublich holziger Begriff für das größte Jugendevent im Segelflugsport der Bundesrepublik Deutschland! Und was für eine endgeile Veranstaltung!
48 junge TeilnehmerInnen, je 3 aus allen 16 Bundesländern, trafen sich am Wochenende vor dem Tag der Deutschen Einheit im Haus der Luftsportjugend (HdL) in Laucha /Sachsen-Anhalt, um sich im Himmel über dem Unstruttal zu messen. Moment! Das wäre ein typischer Standardtext, aber was passierte wirklich?
Am Donnerstag und Freitag bewegten sich zahlreiche Segelflug-Karawanen in Richtung Laucha. Ihre markanten Sportanhänger machten den für die Bevölkerung im Allgemeinen eher unsichtbaren Sport plötzlich sichtbar. Fast immer zielsicher näherte sich die „mobile Randsportart“ (Zitat RTL) einem wunderschönen, aber auch sehr abgelegenen Ort Deutschlands.
Ein Laucha gibt es nämlich nicht nur im Unstruttal, sondern auch bei Gotha/Thüringen sowie in Löbau/Sachsen. So wurde bereits die Fahrt zum „richtigen“ Laucha zur ersten Prüfung angehender Segelfluggrößen. Reiseerlebnisse ergaben sich nicht nur aufgrund der zum Teil erheblich unterschiedlichen Entfernungen. Auch die qualitative Diversität der Verkehrswege als physisch erlebbares Ergebnis der Wiedervereinigung vor 23 Jahren barg sportliche Herausforderungen, vor allem bei Gästen aus den alten Bundesländern.
Auf dem Flugplatz angekommen wurde die Schar sportiver Romantiker zuerst von der liebevoll bis verzweifelt verbesserten DDR-Nachkriegsoptik der HdL-Immobilie empfangen, gefolgt von Peter Weber (Jugendsekretär) und Carolin Seifert (Organisatorin), die alle irritierten Gäste wieder emotional aufbauten und mit den wichtigsten Infos versorgten. Ein Potpourri aus Unterkünfte, Schlafsäle (Seminarräume) und Zelte (Katastrophenschutz 🙂 ) dienten zur Unterbringung für kurze Nächte.
Der legendäre Sonnenuntergang in Laucha kündigte eine der ältesten Verhaltensmuster der Menschheitsgeschichte an, das Kultivieren eines Lagerfeuers. Dieses Mal hatte das HdL rechtzeitig für ausreichend Holz aus den umliegenden Wäldern gesorgt. In der Vergangenheit war dies nicht immer gelungen und so hatte das eine oder andere Mobiliar einen letzten heroischen Moment des Lichts und der Wärme erlebt.
Die Vorbereitung
Nach bitterkalter Nacht (-3°C) war Freitag der Tag der Übungs- und Einweisungsflüge gekommen. Voller Erwartung und kaum genossenem REM-Schlaf startete die adrinalisierte Segelflugmeute. Zunächst in den Nebel. Die Ursache war schnell gefunden: Ein Hochdruckgebiet, nächtliche Abkühlung und daraus resultierende morgendliche Bodeninversion bei nicht vorhandenem Spread, flankiert durch eine herbstliche Sonne ergeben eben dichten Strahlungsnebel. Romantisch, aber nicht ideal zum Weitgucken.
Egal! Die Segelflugzeuge in der Halle konnten durch vorsichtiges Folgen der Zufahrtsstraße gefunden werden. Mutige tasteten sich entlang des Flugplatzzaunes zu den Anhängern und fingen mittels qualifizierten Zurufens an, ihre Flugzeuge zusammen zu bauen.
Während dessen begab sich ein kleines Orgateam des Veranstalters auf den Flugplatz, um den Start aufzubauen. Zwei Entscheidungen lagen an:
Erstens das Bestimmen der Startrichtung. Ähnlich wie beim Fußball ist die Zahl der kommentierenden Experten unübersichtlich. Dagegen hilft oftmals die Magie des Faktischen, d.h. ein Blick nach draußen. Im Nebel verblasst jedoch diese Magie und so wurde im dichten Nebel der Erkenntnis eine sibyllinische Entscheidung getroffen. Ostwind. Mehr ahnend als wissend und darauf hoffend, dass auch am Samstag der vom DWD vorhergesagte Ostwind vorherrschen möge, wurde entschieden, den Start an die Hangkante und die Winde in den Acker zu verlegen (mit dem Agrarökonom der zuständigen Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft für die entsprechender Nutzungsfläche des avisierten Objekts war zuvor erfolgreich verhandelt worden).
Zweitens die Standortbestimmung der DIXI-Toiletten. Es sind immer wieder kleine Details, die über Erfolg oder Misserfolg richten. Aus diesem Grund wurde viel Hirnschmalz in die Lagebeurteilung der DIXIs investiert. Der Transport auf einem offenen Segelflugzeuganhänger geriet dann doch noch sportlich und erfolgte sehr, sehr vorsichtig.
Während der ganzen Dauer des BJVF trafen sich wiederholt zu Unzeiten und konspirativ zwei agierende Gruppen aktiver HdL-Idealistinnen. Das Riesenheer der Mainzelmännchen für die Zimmer, Duschen und Toiletten bestand aus Gerlinde Ihle und Christina Beyer. Als Chefin der kulinarischen Wohlgerüche agierte Judith Jebsen.
Kurz nachdem Désiré Hühn, Anje Kaufmann, Melanie Lückenhaus und Susi Litzkendorf die Spaghetti Bolognese zubereitet und ausgegeben hatten, gab der Nebel den Weg frei fürs Training. Dieses Training galt nicht nur unerschrockenen jugendlichen Rittern und Ritterinnen der Lüfte. Es war auch ein Training für das Fußvolk, dass das Turnier auf dem Flugplatz gestaltete. Es folgte die nur im Segelflug anzutreffende Symbiose der Individualisten: Winden- und LEPO-Fahrer, Flugleiterin und Startorganisatorin, Versorger und Zirkusdirektor.
Die Sonne stand stark und wärmend am Zenit, der Wind wehte kaum spürbar aus diffusen Richtungen, als sich die ersten Turnierteilnehmer der Herausforderung stellten. Schnell war an der Winde Höhe gewonnen und sich zielstrebig dem Übungsgebiet genähert. Aus gütiger Entfernung und aus der Vogelperspektive lag ein Traum von einem Tal den FliegerInnen zu Füßen. Allein der Anflug! Über dem Unstruttal anfliegend, galt es nun den 120m höheren Flugplatz über einen steilen Weinhang anzufliegen – eine echte Flugzeugträger-Landung.
Die Sonne zog derweil ihre archaische Bahn am Firmament und während der Trainingsdruck stieg, sank die Außentemperatur bis zur Dunkelheit. Der plötzliche und unerwartete Verlust unseres Fixsternes führte dann auch rasch zum Erliegen der fliegerischen Aktivitäten.
Nachdem die Flugzeuge verbracht und die Mägen dank gütiger Bereitstellung von Nahrungsmittel durch die konspirativ agierende Gruppe aktiver HdL-Idealistinnen gefüllt werden konnten, war es erneut das Lagerfeuer, dass diesen Tag der Menschheit in Laucha einen würdigen Abschluss bescherte, zumindest für einen kleinen Teil dieser Menschheit.
Aus der Nebelperspektive des Vortages betrachtet konnte man am Entscheidungstag völlig entspannt dem Zeitplan entgegensehen :
• 0600 Uhr Frühstück
• 0708 Uhr Sonnenaufgang
• 0730 Uhr Startaufstellung.
Problem – kein NEBEL !!!
Als ein weitgehend gechilltes HdL-Team den Startort vorbereite und die Linien des Landefeldes nachzog, lag der Flugplatz leicht geeist in der atemberaubenden Szenerie des Sonnenaufgangs. Die Turnierteilnehmern hatten offenkundig ein etwas anderen Blick auf die Dinge. Sirtaki hieß die Aufstelltaktik und zuerst ganz langsam, dann etwas sportlicher und zum Schluss mit sehr viel Schwung kamen die Turnierwilligen in die Startblöcke.
Eine Handvoll Einweisungsstarts bildeten ein ruhiges Soft Opening unter einem motivierten, kreativen und qualifizierten Flugplatz Team:
• Tatiana Ochs intensivierte als Flugleiterin ihr kommunikatives Verhältnis mit dem Funkmikro bis es rot wurde
• Anja Tielmann, assistiert von Max und Floh Heilmann, lenkte jede basisdemokratische Anwandlung der Startaufstellung imperativ in geordnete Bahnen
• Fritz Cremer und Wolfgang Westphal galten lange als verschollen (wie auf den meisten Segelflugplätzen), bis die Nachricht ihrer einsamen Domptur des Windentieres uns erreichte. Nur das Brüllen ihres Tieres war den ganzen Tag gut zu hören!
• Lothar Büchner, Sigi Grund, Carlo Tittman, Stephan Altrogge und Sebastian Gehl standen ihnen als Biestmaster zur Seite und versorgten furchtlos und ausdauernd…
• …Manni Reichel, der ungekrönte König der LEPO-Fahrer mit Seilen
• Vor den Flugzeugen operierte Oliver Stolle. Gazellengleich und fürs menschliche Auge kaum wahrnehmbar, sorgte er in fließenden Bewegungen für ein rasend schnelles Einklinken
• Vor, hinter, neben und inmitten der Menschenmenge operierte Stephan Olessak in der ihm gewohnten Funktion des Zirkusdirektors
• Klaus Dieter Relotius regierte als graue Eminenz die Welt der Zahlen und Tabellen
• Der Chefjuror zeigte, dass Witz und knallharte Bewertung keine Gegensätze sein müssen
Kurz nach 9 Uhr wurde es dann ernst. Mathias Müller, Bundesjugendleiter und Markus Neumeister, 1.Vorstand HdL, eröffneten das 29. Bundesjugendvergleichsfliegen der Luftsportjugend des deutschen Aero Clubs e.V. im Haus der Luftsportjugend e.V. in Laucha/Sachsen Anhalt. Aus ersichtlichem Grund lieben Flieger Abkürzungen, daher das Ganze im Shortcut: 29.BJVF der LSJ/DAeC im HdL in Laucha/ST
Das Briefing erklärte den TurnierteilnehmerInnen die Aufgabe: Windenstart – Kreiswechselflüge, rechts beginnend – Seitengleitflug – Ziellandung. In der Folge hätte Oliver locker vier Segelflugzeuge zeitgleich in den Himmel befördert, doch die Jury intervenierte. Mit 10 Jurymitglieder waren nur zwei Segelflugzeuge zeitgleich zu bewerten. Darüber hinaus musste aus Sicherheitsgründen genügend Zeit den Schiebeteams gegeben werden. Ihre Aufgabe bestand im sofortigen Entfernen der Segelflugzeuge nach erfolgter Landung, ansonsten drohten Strafpunkte.
Nach wenigen Wertungsflügen fiel ein kleiner, mit der Zeit immer dringlicher werdender Mangel auf. Die Juroren verfügten über kein DIXI in ihrer Nähe. Dies änderte sich erst mit dem Briefing zum zweiten Durchgang.
Der Ostwind nahm langsam an Intensität zu und die Sonnenhöhe war kurz davor ihr Tagesmaximum von 36,59° zu erreichen als gleich zwei Ereignisse die Stimmung der 200 Menschen auf dem Flugplatz verbesserten. Erstens wandelte sich die Lufttemperatur von chillig auf wonnig, zweitens gab die konspirativ agierende Gruppe aktiver HdL-Idealistinnen warme Gallina deruptiva auf Oryza sativa indica (Hühnerfrikassee auf Reis) an die darbenden TeilnehmerInnen und ihre Fans aus.
Das zweite Briefing wurde geprägt vom nächsten Wertungsinhalt – „hochgezogene Fahrtkurve“ – der Kritik des Chefjurors zum ersten Durchgang – „Schräglagen von mehr als 5° wären erlaubt gewesen“ sowie „rechts ist wo ich es sage und nicht wo ihr es vermutet“ – sowie der im Hintergrund vorbeifahrenden DIXI-Toilette auf dem Weg zur Jury.
Ohne Beanstandung blieb die Gesamtheit der Windenstarts und bildeten damit eine aussagekräftige Standortbestimmung dieses Ausbildungsinhaltes in der bundesweiten Segelflugausbildung DAeC. Im krassen Gegensatz hierzu muss der Seitengleitflug (SLIP) betrachtet werden. Beim demonstrierten SLIP trat mehr kreative Diversität als fliegerisches Können zu Tage. Auch wenn moderne Segelflugzeuge und Flugtaktik den Einsatz eines SLIP im realen Fliegerleben beinahe überflüssig machen, ist das Beherrschen der Roll-, Gier-, Nick- und Trägheitsmomente beim SLIP ein sichtbares Zeichen von Airmenship!
Entsprechend fiel die Kritik beim dritten und letzten Briefing aus, während der Ostwind an Temperatur ab- und an Geschwindigkeit aufnahm. Die letzte Aufgabe bestand aus Windenstart – einer Rollübung in Richtung der Jury – Seitengleitflug – Ziellandung.
Die Sonnenstrahlen kamen jetzt von oben aus 24,81° und beschienen aus Südwest die zahlreichen Weinberge im Endteil der Platzrunde mit ihrem toskanischem Licht. Trügerisch idyllisch lag der finale Anflug auf das Ziellandefeld vor den TurnierteilnehmerInnen und verweigerte die Sicht auf das immer stärker werdende Lee ins 120m tiefer gelegene Unstruttal. Dies sollte noch Folgen haben…
Start um Start wurde der Anflug anspruchsvoller. Daran änderte auch die Sonne im Rücken nichts. Stephan hatte wie immer eine Magnum Flasche Rotkäppchen Sekt für Den- oder Diejenige ausgelobt, welche aus Gründen der Sicherheit sich zu einer Außenlandung im Tal entscheiden würde, statt mit Risiko zu versuchen auf dem Flugplatz zu landen. Zweimal war die HdL ASK21 in den vergangenen Jahren bereits im Hang „gelandet“ ohne Personenschäden zur Folge zu haben. Einer weiteren „Hanglandung“ entging Sascha mit der HdL-Ka8 kurz vor Sonnenuntergang durch seine beherzte Entscheidung. Unmittelbar vor Erreichen der Hangkante entschied er sich spektakulär zur Außenlandung im Tal.
Drei Dinge passierten in Folge: Erstens bekamen Jury und Flugleitung fast einen Herzinfarkt, als sie das Flugzeug hinter der Hangkante verschwinden sahen, zweitens beschleunigte die Erdrotation kurzfristig als eine große Menschenmenge auf die Hangkante zustürmte und drittens gewann Sascha die Magnum Flasche verdient mit einer sauberen Außenlandung.
Mit einer Sonnenhöhe von ungefähr 0° endete der dritte Durchgang und mit ihm auch der fliegerische Teil des 29. BJVF. Es folgte das Abbauen, Segelflugzeug schleppen, Saubermachen, Abrüsten, etc. bis es zu dunkel und zu kalt wurde um weiter zu machen.
Ab einer Sonnenhöhe und Außentemperatur von gefühlten -10° begann das große Fressen, gefolgt vom großen Lagerfeuer. Abgerundet und vollendet wurde die Party durch den sensationellen Auftritt der Flugplatzkapelle aus Stölln. Ihre Spielfreude trugen die drei Segelflugkünstler mit unglaublichem Wortwitz, Stilkritik und Satire vor, die geeignet ist ihnen einen dauerhaften Platz am Himmel der Segelflugkultur unseres Landes zu sichern (www.facebook.com/FlugplatzkapelleStolln).
Sonntag, 29. September 2013
Ein ganz besonderer Dank ging an einen ganz besonderen ehrenamtlichen Helfer. Lothar Büchner, geboren Anfang des letzten Jahrhunderts im vergangenen Jahrtausend und seit 30 unerbittlichen Jahren für das HdL als ehrenamtlicher Fluglehrer, Werkstattleiter, Hausmeister, Flugleiter, Halleneinräumer und „Reparierer von allem was nicht bei drei auf dem Baum ist“ wurde für seinen phänomenalen Einsatz zum Ehrenmitglied des Haus der Luftsportjugend ernannt.
Es sind genau diese Menschen, die unseren Sport und ihre Luftsportjugend täglich zum Leben erwecken. Es gibt aber auch Menschen und Institutionen, die sehen das Engagement für die Jugend im Segelflugsport möglicherweise anders.
Und so artikulierte Markus Neumeister sehr deutlich sein Unverständnis gegenüber der gezeigten Haltung der Bundeskommission Segelflug. Es war bereits eine fatale Entscheidung für den DAeC durch den DAeC, der LSJ auf Bundesebene die Mittel zu streichen. Das die BuKo Segelflug nun aber nicht einmal einen symbolischen Beitrag für die größte Jugendveranstaltung im Segelflugsport der Bundesrepublik Deutschland für nötig hielt, ist schlicht unfassbar und erniedrigend.
Dabei tritt ein Paradoxon zu Tage, dass derzeit nicht erklärt werden kann. Während unter den Mitgliedern des DAeC ein klares JA zum Thema Jugendförderung existiert, scheinen die von ihnen gewählten Gremien eine völlig andere Jugendpolitik zu betreiben. Der bis vor fünf Jahren zentrale und einigende Gedanke der Jugend- und Nachwuchsförderung im DAeC ist nunmehr geteilt und in die Peripherie unseres Verbandes verbannt. Und das obwohl jeder weiß:
Ohne Nachwuchs kommt der Nachruf!
Davon ungetrübt und mit dem Zauber des Fliegens grüßt euch eure Luftsportjugend und ihr Haus in Laucha! Bis zum nächsten Jahr und an einem wunderschönen Ort irgendwo in Deutschland ;-).